Kritiken zum Konzert:
Johann Sebastian Bach - Weihnachtsoratorium Kantate I-III
vom 12.12.2017 / 19:00 in der Annenkirche Dresden
Leitung: Friedrich Sacher, Gerard Ramos Pardo, Justus Merkel
1.
Mit Lust musiziert - Weihnachtsoratorium mit Studierenden der Hfm
"Es gibt Werke, die man immer und immer wieder hört, zwar stets sehr gern, aber eben auch in großer Regelmäßigkeit. Da stellt sich irgendwann die Überzeugung ein, dass solche Aufführungen keine Überraschungen mehr bereithalten können. In diese Werkkategorie gehört für sich Bachs Weihnachtsoratorium. Und wenn es dann plötzlich möglich ist, die Kantaten um die Geburt Christi so frisch und im allerbesten Sinne des Worten unroutiniert zu hören, so ohne Patina und weihevolles Pathos wie jetzt in der Dresdner Annenkirche - da reibt man sich Augen und Ohren und ist einfach nur glücklich ob des Hörerlebnisses.
Auf dem Altarplatz versammelten sich Studierende der hiesigen Hochschule für Musik, die komplett für die Aufführung zuständig waren. Es war deren Eigeninitiative, wie der Chef des Ganzen, Hans-Christoph Rademann zu Beginn klarstellte. Und die Ausführenden schienen Rademanns bedenkenswerte Worte über den musikalischen Gehalt wie die inhaltlich-geistliche Seite des Weihnachtsoratoriums ganz tief verinnerlicht und zur Grundlage ihrer Interpretation gemacht zu haben. Das Ergebnis war in jeder Hinsicht überzeugend.
Mit Friedrich Sacher, Gerard Ramos Pardo und Justus Merkel leitete jeder eine der drei Kantaten - durchweg sehr durchdacht und mit individuellen Gestaltungsansätzen versehen. Da faszinierte die kluge Ausdifferenzierung der Choräle, die überlegene Ruhe in der Sinfonia der 2. Kantate, die einem Sturmwind ähnelnde Rasanz beim jubelnden "Herrscher des Himmels". Sorgfalt in der Artikulation und gestalterische Präzision war allen dreien wichtig. Der Chor glänzte mit Singfreude pur, mit Homogenität und einem wunderbar durchsichtigen Klangbild.
Ebenfalls aus den Reihen der Hochschule kam das Solistenquartett. Über jeden Zweifel erhaben präsentierte sich die Altistin Anna-Maria Tietze, die ihren drei diffizilen Arien technisch und gestalterisch in jeder Hinsicht bravourös bewältigte. Florian Neubauer brachte für seine Deutung der Evangelistenpartie überzeugende, erzählerische Ausdruckskraft mit und tummelte sich leicht und sicher in den Koloraturen seiner Hirtenarie. Kraftvoll und stimmlich geschmeidig nahm sich Jussi Juola der Basspartie an. Sehr klar und klangschön mischte Annina Battaglias Sopran mit. Dass das Duett "Herr, dein Mitleid" nicht so ganz fehlerlos zu Gehör kam, fiel angesichts der guten Gesamtleistung kaum ins Gewicht.
Das Orchester ging stilistisch präzise zu Werke, so als spielte es Bach jeden Tag. Da verdiente eigentlich jedes Pult der namentlichen Erwähnung. Ich beschränke mich aus die sensiblen Oboen - Hyon-Song Dupuy und Izabela Berry (Oboe d'amore) sowie Elisabeth Beckert und Sihyun Cha (Oboe da caccia) - sowie die geradezu überwältigende Klangpracht der Trompeten (Linus Krimphove, Felix Petereit, Philipp Rauch).
Am Ende waren alle im gut gefüllten Rund der Kirche aufgefordert, den Schlusschor der ersten Kantate in seiner Urform, nämlich "Vom Himmel hoch" mitzusingen. Und das tat man gern."
(von Mareile Hanns / DNN)
2.
Kantaten I bis III mit drei verschiedenen Dirigenten
Seit dem 1. Advent (oder schon dem 1. Dezember) gibt es in Dresden viele Aufführungen des Weihnachtsoratoriums. Fast scheint es, man könnte sich den Termin nach dem persönlichen Kalender wählen, doch zählt neben dem Preis der Eintrittskarten wohl vor allem die Aufführung, der Ort, die Musiker und Solisten. Von barocker, historisch informierter Aufführung bis hin zum romantisch geprägten Oratorium reicht das Angebot, von »üblichen« Teilen (Kantaten I bis III) über andere Kombinationen bis hin zur Gesamtaufführung. Und schließlich ist Johann Sebastian Bach ja auch nicht der einzige, der ein Weihnachtsoratorium geschrieben hat.
Die Studenten der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden führten am Dienstag die Kantaten I bis III (Bach) in der Annenkirche auf – bei freiem Eintritt! »Kantaten Exklusiv« hieß das Konzert, sonst gibt es dreimal im Semester die Kantaten (meist zwei) für geringes Entgelt im Marcolini-Palais. Die Dirigenten (Friedrich Sacher, seit 2016 Kirchenmusiker in der Annen-Matthäus-Kirchgemeinde, Gerard Ramos Pardo und Justus Merkel) stammten aus der Dirigentenklasse, für Musiker und Choristen (verstärkt durch Dresdner Sängerinnen und Sänger) war es ein Projekt außerhalb des Lehrinhaltes.
Hans-Christoph Rademann, für die Gesamtleitung der Reihe verantwortlich, führte wie gewohnt kurz in das Programm. Einerseits sei es berechtigt zu hinterfragen, ob das »Parodieverfahren«, also die Wiederverwertung von kompositorischen Ideen, denn immer so glücklich gewesen sei. Immerhin: betrachtet man Text, Melodie und Instrumentation des Eingangschores »Jauchzet, frohlocket«, wird klar, daß diese besser zur ursprünglichen Kantate »Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!« passen. Auf der anderen Seite wäre uns ohne den gesunden Pragmatismus des Komponisten die weltliche Kantate BWV 214 vermutlich heute unbekannt.
Bach hatte das Oratorium auch gar nicht als solches konzipiert, sondern als sechs eigenständige Kantaten. Insofern ist es also durchaus berechtigt, sie mit unterschiedlichen Dirigenten aufzuführen und eine persönliche Lesart zuzulassen, statt (wie sonst) auf einen einheitlichen Stil und Klang Wert zu legen.
Die Unterschiede waren spürbar, allein schon in der Wahl von Tempi und Betonungen. Schön, wie vor allem Friedrich Sacher (»Wie soll ich dich empfangen«) und Gerard Ramos Pardo (»Schaut hin«) sich in den Chorälen Zeit ließen. Die kammermusikalische Besetzung (je drei Violinen, moderne Streicher) beeindruckte durch feinen Klang im Gegensatz zu den romantischen Aufführungen. Immer wieder sorgte das Cembalo (Jan Arvid Prée) für Akzente, aber auch Flöten und Oboen waren im Gesamtklang leuchtend erkennbar. Die Solisten (Annina Battaglia / Sopran, Anna-Maria Tietze / Alt, Florian Neubauer / Tenor und Jussi Juola / Baß) waren zum Teil bereits aus den Kantaten-Aufführungen im Marcolini-Palais bekannt. Stellvertretend für die ausgezeichneten Solisten und Instrumentalisten sei hier nur erwähnt, wie beeindruckend melodisch Jussi Juola stets blieb und selbst die Höhen seines Registers mühelos bewältigte!
Friedrich Sacher ermunterte im Anschluß noch (mit großem, volltönenden Erfolg) die Gemeinde zum Mitsingen des Bach-Chorales »Vom Himmel hoch«.
(13. Dezember 2017, Wolfram Quellmalz)
(https://www.google.de/amp/s/neuemusikalischeblaetter.wordpress.com/2017/12/13/weihnachtsoratorium-mit-studenten-der-musikhochschule-in-der-annenkirche/amp/)