Einer DER großen Hauptaufgaben an der Orgel war, wie schon an anderer Stelle erwähnt, die Erneuerung der Elektrik und der Kabelverbindungen! Dies betraft sämtliche Zuleitungen und Anschlüsse. Diesen wurden z.T. sehr rustikal und unprofessionell durchgeführt und wären aufgrund des Alters der verwendeten Materialien zunehmend unzuverlässig in ihrer Funktion. Die teils sehr alten Drähte brachen unter kleinster Belastung, wurden offen außerhalb des Gehäuses verlötet und waren mit einer Stoffummantelung versehen, die in dieser Form heutzutage nicht mehr zu Einsatz kommt. Wenn man nun noch bedenkt, dass im Originalinstrument ein sehr groß dimensionierter Transformator mit ordentlich Leistung zum Einsatz kam, erscheint es fragwürdig, ob diese teils dünnen Drähte wirklich geeignet waren. Offenbar hat es ja lange funktioniert und es scheint keine Probleme gegeben zu haben, doch unter heutigen Gesichtspunkten erschien es mir logisch, einen weitaus sichereren Weg zu gehen. Die Kabel sind jetzt wesentlich dicker und die Leistung der frei regelbaren Stromversorgungsgeräte (welche ebenfalls aktuellen Vorschriften und Standards entsprechen) wurde passend eingestellt, sodass keine Überlast entsteht und Brandgefahren somit ausgeschlossen sind. Die verwendeten Magnete in allen Ventilen operieren unter erstaunlich geringen Spannungen und Stromstärken. Es ist unklar, weshalb ursprünglich ein so gewaltiges Netzteil verwendet wurde. Zudem kommt hinzu, dass die Sicherheitsvorrichtungen in den neuen Netzteilen AKTIV verhindern, dass Leitungen überlastet werden. Zum einen sind ausreichend Sicherungen verbaut, zum anderen regeln die eingebauten Mini-Computer, dass nicht mehr Leistung als die eingestellten Werte entnommen werden können und schalten bei "Fehlverhalten" der Werte temporär automatisch ab. Somit merkt man sofort, wenn etwas nicht stimmt und dies äußert sich nicht in dramatischen Schäden an der Elektrik oder anderen Teilen Orgel, sondern am schlichten Aussetzen der Anlage. Zwar ist dies sehr unpraktisch für das Orgelspiel, wenn mitten im Stück das Instrument nicht mehr spielt, doch hat man so eine ungefährliche Art und Weise, Fehler zu bemerken und kann im Nachgang ggf. Einstellwerte anpassen und nachregulieren.
Neben der Erneuerung der Elektrik und der Zuleitung war die Erarbeitung der Verkabelung selbst eine große Herausforderung! Prinzipiell war vollkommen klar, was wie angeschlossen werden musste, doch trafen hier zwei verschiedene Verkabelungs-Arten aufeinander, die es nötig machten, im Voraus eine lange und detaillierte Verkabelungs-Tabelle zu erarbeiten. Die Tasten der Klaviatur sind chromatisch angeordnet. Also ein Halbton nach dem anderen, so wie man es ja auch vom Klavier kennt. Soweit so gut. Die Pfeifen auf der Windlade sind allerdings DIATONISCH angeordnet. Das heißt, in den Pfeifenreihen folgen nicht HALBtöne aufeinander (wie an der Klaviatur), sonder GANZtöne. Dadurch entsteht auch die gut erkennbare "Keilform" der Pfeifen. Würden die Pfeifen in HALBtönen stehen, hätte man eine konsequent diagonal abfallende Linie. In diesem Fall aber nicht. Dies hat vor allem klangliche Gründe und kann auf unterschiedlichste Weise gestaltet werden. Die Pfeifen können in den unterschiedlichsten Keil- und Dachformen stehen. Hintergrund ist, dass sich der Klang insgesamt besser mischt. Spielt man eine chromatische Tonleiter (jeder Halbton wird nacheinander gespielt), so würde normalerweise der Klang langsam von einer Seite zur anderen Seite "wandern". Damit hätte man alle tiefen Pfeifen auf der einen Seite und alle hohen auf der Anderen. Da das ziemlich unausgeglichen ist, hat man die Pfeifen in GANZtönen angeordnet. Auf der linken Seite stehen dann beispielsweise die Töne CIS-DIS-F-G-A-H (usw.) und auf der rechten Seite die Töne C-D-E-FIS-GIS-AIS (usw.). Somit "springen" die Töne von einer Seite zur anderen immer hin und her, was im Gesamtklang eine bessere Ausgewogenheit ergibt. Auch wenn sich Ihnen dieses System nicht auf den ersten Blick erschließt, ist es ein bewährtes System, welches in der langen Orgelbautradition erwachsen ist. Jedenfalls mussten nun diese beiden unterschiedlichen Aufteilungen (Klaviatur in HALBtönen, Windlade in GANZtönen) überein gebracht werden. Das hat sehr sehr (sehr sehr...) viel Zeit in Anspruch genommen und auch den ein oder anderen Fehlversuch mit sich gebracht, doch am Ende ist alles gelungen und jede Taste hat nun das richtige Ventil angesteuert! An dieser Stelle ist noch kurz anzumerken, dass das Anlöten der neuen Kabel an die Ventilmagnete IN der Windlade ein absoluter Konzentrations- und Kraftakt war, da ich nur die Seiten der Windlade öffnen könnte und die ganze Lötarbeit ohne wirklich gute Sichtachse, mit teilweise voll ausgestreckten Armen, das ganze halb-liegend oder hockend bewerkstelligen musste. Ein gutes Muskeltraining. Dies spielt auch meiner Einschätzung, die Orgel sei sehr reparatur-unfreundlich gebaut worden, wieder sehr in die Karten!
Es war ein grandioser Moment, das erste Mal "richtig" auf der Orgel spielen zu können. Es war sozusagen das erste offizielle Lebenszeichen des Instruments nach seinem langen Dornröschenschlaf!
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